HISTORISCHER RÜCKBLICK 125 Jahre Stadtbücherei in KorbachFreitag, 01. September 2023, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
Erster Teil - Jahrelange Überzeugungsarbeit war nötig
VON DR. TOBIAS METZLER
Die Korbacher Stadtbücherei feiert dieses Jahr 125-jähriges Bestehen. Gemeinsam mit Büchereileiter Dr. Tobias Metzler blickt die WLZ auf die Entstehungsgeschichte zurück. Im ersten Teil geht es heute unter anderem darum, wie die Idee einer öffentlichen Bibliothek in Korbach entstand.
Korbach – „Unter den Korbacher Bürgern ist ein Verein zu Stande gebracht, in welchem populär gehaltene kleine Bücher und Schriften von den mannigfachen Inhalten gelesen wurden,“ berichtete Ludwig Curtze in einem Jahresrückblick, der 1841 in der Waldeckischen Gemeinnützigen Zeitschrift erschien.
Um den Fortbestand dieser lobenswerten Einrichtung sicherzustellen und literarische Werke einer breiten Bevölkerung zugänglich zu machen, so Curtze weiter, sollte sich „unsere Stadt zu einer kleinen jährlichen Beisteuer verstehen“. Langfristiges Ziel war es, eine ständige Gemeindebibliothek zu errichten. Diese sollte an die Stelle der aus privaten Buchbeständen gespeisten Lesegesellschaft treten. In diesem Vorschlag spiegelten sich allgemeingesellschaftliche Tendenzen der Zeit (siehe Hintergrund).
Auf diese stark vom Geist des Biedermeiers durchdrungene Konzeption einer kommunalen Bibliothek nahm Curtze Bezug, als er die Korbacher Stadtväter von seinem Vorhaben zu überzeugen versuchte. Verwirklichen sollte sich der Plan nicht. Die städtische Verwaltung der alten Hansestadt zeigte zunächst kein Interesse an dem Projekt.
Mit einer Gruppe Gleichgesinnter – unter ihnen Kircheninspektor Philipp Theodor Waldeck (1787 bis 1864), Hermann Schotte (1801 bis 1876), der Prorektor des Fürstlich Waldeckischen Landesgymnasiums Fridericianum und weiteren kirchlichen und schulischen Vertretern unternahm Curtze 1844 einen erneuten Versuch. In einem am 6. November verfassten Gesuch an den Magistrat erklärten die Mitunterzeichner:
„Wir, die gehorsamst Unterzeichneten, haben den Entschluß gefaßt, in hiesiger Stadt unter den Bürgern einen Leseverein und eine sich daraus entwickelnde Bürgerbibliothek zu begründen. (...) Die Bürger würden durch das Lesen vom allzu häufigen Besuche der Wirtshäuser abgehalten, ihnen würden dadurch auch über die Stadtmauern hinausführende Gegenstände vor Augen geführt und ihnen damit ein anderer als der gewöhnliche Stoff zur Unterhaltung dargeboten, sie verführen nützliche Wahrheiten, die auf ihr materielles und allgemeines Wohlsein günstigen Einfluß ausüben könnten, und ihr Geist würde für Gemeinsinn und öffentliche Wohlfahrt, für zeitgemäße Verbesserungen in den bürgerlichen und kirchlichen Verhältnissen empfänglich gemacht.“
Am 11. November 1844 antwortete der Magistrat und verwies darauf, dass man nicht befugt sei, für die Einrichtung einer Lesegesellschaft aus den städtischen Mitteln einen jährlichen Beitrag beizusteuern. Auch in späteren Jahren blieben die sporadischen Versuche, von der Stadt finanzielle Zuwendungen für die Versorgung der Bevölkerung mit Lesestoff zu erwirken, erfolglos.
Zeitungen, Journale und Bücher wurden zu Massenprodukten
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten technische Innovationen bei der Papierproduktion und der Drucktechnik eine zweite Medienrevolution ausgelöst. Diese machten es möglich, dass Druckerzeugnisse wie Zeitungen, Journale und Bücher Massenprodukte wurden. Die Entwicklung eines staatlichen Elementarschulwesens und die steigende Alphabetisierungsrate waren weitere Faktoren, die zu wachsender Nachfrage nach Gedrucktem beitrugen. Im Zuge dieser Entwicklungen begannen exklusive höfische Bibliotheken ihre Bestände einer breiteren Leserschaft zu öffnen. Andernorts entstanden Lesegesellschaften oder kommerzielle Leihbibliotheken.
Im sächsischen Großhain hatte Amtmann Karl Benjamin Preusker mit dem Arzt und Dichter Emil Reiniger 1828 ein für den deutschen Sprachraum bis dahin beispielloses Experiment unternommen: Sie riefen eine Bibliothek ins Leben, die allen Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zur Verfügung stehen und so „das ganze Kulturleben einer Stadt“ durchdringen sollten. Darüber hinaus sollte sie der „Pflege von Gemüt und ethischen Anlagen, Grundlage für Gewerbe- wie für Jugendbildung“ dienen. met
Freitag, 01. September 2023, Waldeckische Landeszeitung / Lokales
Erst Entengasse, danach in zwei Schulen: Bücher zogen oft um
Schule am Enser Tor in Korbach: Dort wurden die Bücher damals nicht fachgerecht gelagert. Nachdem sie Schimmel angesetzt hatten, zog der Bestand in die heutige Westwallschule um. Foto: Philipp Daum
Es sollte fast ein halbes Jahrhundert dauern, bis ein neuer Anlauf zur Gründung einer Bibliothek in Korbach unternommen wurde. Anstoß dazu gab der Tod des Privatgelehrten Richard Waldeck. Zu seinen Schülern zählten auch Albert Leiß (1852 bis 1929) und August Bier (1861 bis 1949). Heinrich Münch – später Konrektor der Korbacher Bürgerschule – erinnerte sich Jahre später an lange Spaziergänge in der Umgebung Korbachs, auf denen Waldeck ihm fremdsprachigen Konversationsunterricht erteilte.
Nach dem Tod Richard Waldecks nahm Münch Kontakt zu dessen Schwestern auf und bat sie, die Privatbibliothek Waldecks der Stadt als Grundstock für eine öffentliche Bücherei zu vermachen. Zusammen mit anderen ehemaligen Privatschülern Waldecks entstand der Plan, im frei werdenden Gebäude der Färberei Calmon Kohlhagen am Altstädter Markt eine Bibliothek einzurichten. Diese sollte eine Volksbibliothek, Lese- und Vortragsräume umfassen, sowie eine wissenschaftliche Abteilung, deren Kernstück die Waldecksche Privatsammlung bilden sollte. Um eine dauerhafte Unterhaltung zu sichern, wandten sich die Initiatoren wieder an den Magistrat. Jedoch scheiterte der Versuch, die Verantwortlichen für den Plan zu gewinnen erneut. Durch Vermittlung Albert Leiß‘ wurde die Privatbibliothek Waldecks daraufhin nach Göttingen verkauft. Es folgten langwierige Verhandlungen zwischen den Erben des Verstorbenen und der Stadt über die Gründung einer Stiftung, deren Zweck es sein sollte, eine öffentliche Bibliothek in Korbach einzurichten.
Am 24. August 1898 unterzeichneten die Schwestern Hedwig und Lina die Stiftungsurkunde, mit der sie der Stadt Korbach die Summe von 1800 Mark aus dem Verkauf der Bücher ihres Bruders vermachten. Am 10. September 1898 nahm die Korbacher Gemeindevertretung die Stiftung an und berief eine Kommission, die mit der Einrichtung und Verwaltung der Bücherei betraut wurde. Die in der Folge gekauften Bücher wurden in einen Raum in der Spielschule des Frauenbundes in der Entengasse verbracht, wo sie sonntäglich ausgeliehen wurden. Das Interesse an der neuen Bücherei war so groß, dass oft bis zu 80 Bände an wenigen Nachmittagsstunden von Ehrenamtlichen über die Ausleihtheke gereicht wurden.
Nach dem Tod Hedwig Waldecks am 26. März 1908 erhielt die Stadt eine weitere Stiftung in Höhe von 1500 Mark, „welche den Zweck haben soll, den Grundstock der Richard-Waldeck-Volksbibliothek zu stärken”. Im Begleitschreiben ihrer Schwester Lina hieß es: „Wir hoffen, daß durch vermehrte Mittel mit der Zeit vielleicht noch mal was Besseres werden könne, wie es wohl jetzt ist.“
Die Hoffnungen sollten sich zunächst nicht erfüllen. Wenige Jahre später musste ein neuer Standort für die Bibliothek gefunden werden, da der ursprüngliche Büchereiraum in der Spielschule anderwertig benötigt wurde. Daraufhin wurde der Buchbestand in die Schule am Enser Tor verbracht und man übertrug es dem dortigen Schuldiener, sich darum zu kümmern. Nach dessen Tod übernahm Lehrer Schnare die Aufsicht. Nachdem dieser jedoch 1916 zum Kriegsdienst eingezogen worden war und die Heeresverwaltung die beiden benachbarten Schulgebäude für Büros und Stapellager requirierte hatte, wurde die Bibliotheksbände kurzerhand in den Kellerräumen der Schule eingelagert.
Dort nahmen die Bücher alsbald Schaden und setzten Schimmel an. Der in Hamburg wirkende Chirurg und Professor Hermann Kümmell setzte sich dafür ein, dass die Bücher fachgerecht gereinigt wurden und in einen trockenen Raum in der oberen Schule (der heutigen Westwallschule) umzogen. Durch das ehrenamtliche Engagement Frau Marie Engelhards (geb. Waldeck) und unterstützt durch Fräulein Schachtebeck und später Fräulein Scipio, wurde der Bestand katalogisiert und erweitertet. Auch war es wieder möglich, die über 1400 Bände an den Sonntagnachmittagen des Winterhalbjahres zu entleihen. Allerdings sollte die Bücherei auch hier nicht dauerhaft bleiben und in der Folgezeit an zahlreichen anderen Standorten untergebracht werden. met |