Quelle: WLZ vom 02.06.2015.
Mit der 90-jährigen Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende, Vollblutsängerin und "Powerfrau" ohnegleichen, wurde in der vollbesetzten Vöhler Synagoge eine musikalisch literarische Ausnahmeveranstaltung geboten.
VON SANDRA SIMSHÄUSER
Vöhl. Unfassbar, was diese Frau in ihrem Leben erleben und verarbeiten musste. Umso beeindruckender, mit welcher Kraft Esther Bejarano über die schlimmen Geschehnisse berichtet und dafür kämpft, dass sich Ähnliches nie mehr wiederholt
Durch eine Kampagne gegen rechte Gewalt war die resolute alte Dame vor sieben Jahren auf die Kölner "Microphone Mafia" gestoßen. Mit Erinnerungsarbeit in modernisierter Form wollten die Rapper mit italienischen und türkischen Wurzeln speziell die junge Generation ansprechen. Gemeinsam mit Esther Bejarano und deren Sohn Joram am Bass erreichen sie seither noch mehr, nämlich mit mehrsprachigen Texten und einem musikalischen Crossover zwischen Klezmer und Rap generationsübergreifend gegen Fremdenhass und Vorurteile an zusingen. Bereits am Freitag war das ungewöhnliche Quartett vor Schülern der Alten Landesschule im Korbacher Bürgerhaus auf getreten.
"La vita continua - Das Leben geht weiter" heißt das aktuelle Programm. In jeder Minute im Mittelpunkt steht dabei Esther Bejarano. Aufrecht, mit klarer Stimme und festem Blick, tanzend und singend, so bestritt die zierliche alte Dame das Konzert in der Vöhler Synagoge bis zur letzten Minute. Somit nicht überraschend erscholl der wiederholt stehende Applaus für sie und ein Projekt, das die wenigsten Zuhörer in dieser Form erwartet haben dürften. Zumal Esther Bejarano die Erklärung für den in jeder Hinsicht nicht zu überhörenden, im Klartext formulierten und obendrein teils wild gerappten Appell im ersten Teil der Konzertveranstaltung lieferte.
Gleich zu Beginn der vom Korbacher Verein "Lesebändchen" angeregten und in Kooperation mit dem Förderverein Synagoge Vöhl durchgeführten Veranstaltung ließ Bejarano die Zuhörer am dunkelsten Kapitel ihres Lebens teilhaben. Die Musik war es, die ihr - als Jüdin und Mitglied des Mädchenorchesters - inmitten der Gräuel des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau das Leben rettete. In Auszügen aus ihren 2013 erschienenen "Erinnerungen", schilderte Esther Bejarano auch die Verlegung ins Lager Ravensbrück, die dort zu verrichtende Zwangsarbeit und schließlich ihre Begegnung mit den ersten amerikanischen und russischen Soldaten. "Das war mehr als eine Befreiung, das war meine zweite Geburt", schloss die 90Jährige ihre bewegenden Aufzeichnungen.
Bewegend, wenn auch in ganz anderer Weise fiel der anschließende Konzertteil mit Sohn Joram und den Jungs der "Microphone Mafia" aus. So viel Kraft es Esther Bejarano kosten mag, immer wieder über ihre Leidenszeit im Nationalsozialismus zu sprechen, scheinen ihre Energiereserven doch nahezu unbegrenzt zu sein. Von Hymnen des jüdischen Widerstands wie "Sage nie, du gehst den letzten Weg" bis zur Zugabe "Wir leben trotzdem, wir sind da" mischte sie die jiddischen Refrains mit fester Stimme schmetternd in der ersten Reihe mit. Auch und gerade dann, wenn "Microphone Maïfia" zu dröhnenden Bässen gegen Wegsehen, Schweigen und Vorurteile anrappte. Ein Banner mit der Aufschrift "Nie wieder Krieg" hielten alle Mitwirkenden schließlich unter kollektivem Applaus in die Höhe und ließen die Freiheit mit "Viva la liberta" hochleben.
"Genau das, was heute hier stattgefunden hat, war vor 16 Jahren einer der Gründe, warum wir dieses Gebäude übernommen und den Verein gegründet haben", brachte Karl Heinz Stadtler zu guter Letzt seine Eindrücke aus Sicht des Fördervereins Synagoge Vöhl auf den Punkt.